Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2013; 48(1): 10-17
DOI: 10.1055/s-0032-1333073
Fachwissen
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Perioperative Modifikation der psychiatrischen Dauermedikation – Wann sollte umgestellt oder pausiert werden?

Modification of perioperative psychiatric drug therapy
Andreas Redel
,
Leif G Hommers
,
Peter Kranke
,
Ulrich Schwemmer
,
Christopher Prasser
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Publication Date:
30 January 2013 (online)

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Zusammenfassung

Ein beträchtlicher Teil der Patienten, die sich dem Anästhesiologen im Rahmen der Prämedikationsvisite vorstellen, nimmt regelmäßig Medikamente ein. Neben Arzneistoffen für kardiovaskuläre, pulmonale und metabolische Erkrankungen handelt es sich vielfach auch um antidepressiv, seltener um antipsychotisch wirksame Substanzen. Einige dieser Substanzen interagieren mit Anästhetika. Daher wird der Anästhesiologe im Rahmen der Prämedikationsvisite nicht selten mit der Frage nach der perioperativen Modifikation der psychiatrischen Dauermedikation konfrontiert. Weil das abrupte Absetzen antidepressiv oder antipsychotisch wirksamer Substanzen zum Wiederauftreten entsprechender Symptome und zu einem Entzugssyndrom führen kann, empfiehlt es sich grundsätzlich, die Entscheidung über die perioperative Modifikation dieser Arzneitherapie gemeinsam mit dem behandelnden psychiatrischen Kollegen zu fällen. Soll die psychiatrische Medikation abgesetzt werden, ist auch der indikationsstellende Chirurg in die Risiko-Nutzen-Abwägung einzubeziehen, da der operative Eingriff aufgrund der langen Halbwertszeiten meist um mehrere Tage zu verschieben ist.

Da in der Literatur keine prospektiv-randomisiert erhobenen Daten zur perioperativen Verordnung psychiatrischer Arzneistoffe vorliegen, muss sich diese Risiko-Nutzen-Abwägung neben physiologischen und pharmakologischen Grundüberlegungen auf publizierte Fallberichte und Expertenmeinungen berufen. Aus Anlass einer Leseranfrage an AINS zur perioperativen Verordnung von Opipramol werden nachfolgend die verfügbaren Daten zur perioperativen Verordnung bestimmter psychiatrischer Arzneimittel zusammengefasst, um dem Leser eine Entscheidungshilfe für das Absetzen oder Weiterverordnen der präoperativen Dauermedikation bei psychiatrischen Erkrankungen an die Hand zu geben.

Abstract

Apart from cardiovascular, pulmonary and metabolic drugs, many patients scheduled for surgery are taking antidepressive or antipsychotic drugs. Some of these psychiatric drugs may interfere with anesthetics. The anesthesiologist has to decide whether or not to continue the psychiatric medication during the perioperative period. Since the discontinuation of psychiatric drugs may lead to withdrawal syndromes, the decision should be made in accordance with the attending psychiatrist. Should the discontinuation of any psychiatric drug be recommended, it may be prudent to involve the attending surgeon in order to postpone the procedure, since the modification of psychiatric drugs may take several days.

Prospective randomized data about the perioperative modification of psychiatric drugs are scarce. Thus, recommendations in this regard must rely on physiological and pharmacological principles, case reports and published expert opinions. In this article we use the available data to answer the question of a journal reader regarding the perioperative modification of Opipramol therapy for a 59-year-old patient scheduled for elective shoulder surgery.

Kernaussagen

  • Das Absetzen antidepressiv und antipsychotisch wirksamer Substanzen kann zum Entzugssyndrom führen. Bei längerem Aussetzen besteht die Gefahr des Auftretens von Symptomen der psychiatrischen Grunderkrankung.

  • Von einem Großteil antidepressiv und antipsychotisch wirksamer Substanzen sind Interaktionen mit im Rahmen einer Anästhesie verwendeten Medikamenten zu erwarten.

  • Besteht aus anästhesiologischer Sicht der Wunsch nach dem Um- oder Absetzen der psychiatrischen Dauermedikation, so sollte dies in interdisziplinärer Absprache mit dem behandelnden Psychiater und ggf. dem indikationsstellenden Operateur geschehen.

  • Vor allem unter fortgesetzter Therapie mit trizyklischen Antidepressiva und Antipsychotika ist mit Veränderungen am kardialen Reizleitungssystem und mit QT-Zeit-Verlängerungen im EKG zu rechnen.

  • Sympathomimetika sind unter fortgeführter Therapie mit trizyklischen Antidepressiva und Antipsychotika vorsichtig anzuwenden. Die Indikation zur invasiven Blutdruckmessung ist großzügig zu stellen.

  • Unter Einnahme von trizyklischen Antidepressiva (TZA), Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI) kann die Wirkung von Benzodiazepinen verstärkt und verlängert sein.

  • Unter Einnahme von MAO-Inhibitoren (MAO = Monoaminooxidase) sind indirekte Sympathomimetika, Tramadol und Pethidin kontraindiziert.

Ergänzendes Material